Am 14.11.18 wurde das LOCH in Mannheim beim Spielstättenprogrammpreis des Bundes „APPLAUS“ als „Spielstätte des Jahres 2018“ und mit dem Sonderpreis „gleichstellung“ ausgezeichnet. Peter Grabowski hielt die schönste Laudatio, die man sich nur wünschen kann.

APPLAUS Laudatio LOCH

Wuppertal ist von jeher eine Stadt der krassen Gegensätze: Älteste Industrie-, aber auch grünste Großstadt Deutschlands. Die City hässlich wie die Nacht, drumherum über 4000 denkmalgeschützte Wohnhäuser, fast alle saniert. Trotzdem ist Wohnen bezahlbar, sogar in den Vierteln mit den Gründerzeitvillen.

So was wirkt sich auf die Kultur aus! Das dünne Mädchen aus Solingen z.B. hatte schon früh Angebote aus der ganzen Welt: Paris, London, New York – aber Pina Bausch hat in Wuppertal aus dem alten, langweiligen Ballett das aufregende, verstörende, die Darstellende Kunst revolutionierende Tanztheater gemacht.

Ende der 80er hatten wir dann die beatbox, in der wirklich ALLE innovativen DJs der Welt auflegten - vor gerade mal 200 Leuten, mehr passten nicht rein. Damals schrieb die SPEX über Wuppertal: „Lange, schmale, sehr seltsame Aktionistenstadt!“ Der hauseigene Plattenladen der beatbox hieß übrigens Groove Attack – und wurde, wenn auch erst später in Köln, der größte Independent-Vertrieb der Republik.

Oder der Free Jazz … Natürlich keine Wuppertaler Erfindung, aber sein deutsches Herz schlug und schlägt hier: Der legendäre Bassist Peter Kowald, dessen Erbwalter gerade auch hier geehrt wurden, wohnte keinen Steinwurf entfernt von dem ebenso bedeutenden Peter Brötzmann, der – mit 77 Jahren - immer noch wie ein Berserker in sein Saxophon bläst.

Vor fünf Wochen hat er das - keine fünf Minuten zu Fuß von seiner Heimstatt – wieder getan, in einem echt hässlichen Brutalismus-Bau der 70er Jahre, der einstigen Jugendbibliothek der Stadt. Die steht mittlerweile auch in der Wuppertaler Tradition harter Widersprüche und Brüche bei höchsten Qualitätsansprüchen: Drinnen ist nämlich nicht EIN Loch – sondern DAS Loch!

Warum das Loch? Es begann vor bald zehn Jahren mit der wahnwitzigen Idee eines Haufens von Aktivist*innen, die kulturmüde Sommerzeit in der Stadt mit der temporären Bespielung einer außergewöhnlichen Location zu überbrücken. 2009 dann die erste Aktion in einer renovierungsbedürftigen Villa: Von jetzt auf gleich wurde sie zum Zentrum des Nacht- und Kulturlebens. Alle Sparten, alle Kollaborationen, alle Partys waren möglich - und sie wurden gefeiert, unter dem schönen Titel: „Sommerloch“.

Doch der „Summer moves on“, wie a-ha mal sangen, und das Sommerloch zog mit, in einem Jahr hierhin, im Jahr darauf dorthin. Zu der Zeit wusste das Städtische Gebäudemanagement schon länger nichts mit jener verlassenen Jugendbibliothek anzufangen. Ich verzichte auf Details, aber bald wurde aus dem Sommer-Loch einfach: das Loch und zieht das ganze Jahr die Menschen an.

Dutzende Freiwilliger beteiligen sich an Programm und Betrieb, es gibt brillanten, oft jungen Jazz, außergewöhnlichen Pop und alles dazwischen zu hören. Außerdem Bildende Kunst, es wird auf alle denkbaren Arten performt – und natürlich getanzt, gelacht und getrunken. An 365 Tagen im Jahr, mittlerweile.

Tom Stromberg, Intendant und documenta-Kurator, hat mal gesagt: „Das Schauspielhaus muss die beste Kneipe der Stadt sein“. Das Wuppertaler Schauspielhaus ist leider geschlossen und wartet auf seine Sanierung. Weil das noch ein paar Jahre dauert, ist das Loch mindestens bis dahin die beste Kneipe unserer Stadt – im Strombergschen Sinne.

Binnen fünf Jahren wurde erreicht, was sich jede Kulturinstitution der Welt wünscht: Menschen kommen sogar ohne zu wissen, was es heute zu sehen und zu hören gibt – wenn es im Loch ist, ist es eben immer gut. Und: Sie zahlen dafür Eintritt, auch immer! Der Kostenlos- und Hutkultur des künstlerischen Prekariats wird bewusst etwas entgegengesetzt: Wertschätzung, auch finanzielle.

Das Loch ist so gut, dass man es erfinden müsste, wenn es das Loch nicht gäbe. Wir Wuppertaler glauben natürlich, so was sei eigentlich nur bei uns möglich. Aber in Wahrheit braucht jede Stadt im Land so ein Loch, in dem sie - in der größtmöglichen Vielfalt der Künste und der Menschen - zu sich selber finden kann. Unser Loch gibt das her. Es hat sich den Preis gewordenen APPLAUS von heute redlich verdient – Herzlichen Glückwunsch!

© Peter Grabowski, der kulturpolitische reporter