Frederik Köster – Trompete, Stimme
Sebastian Sternal – Klavier
Joscha Oetz – Kontrabass
Jonas Burgwinkel – Schlagzeug
Seit 10 Jahren spielt Frederik Kösters Band Die Verwandlung zusammen, mit jedem Album überraschen die vielfach ausgezeichneten Musiker (diverse Jazz-Echos, Neuer Deutscher Jazzpreis, WDR-Jazzpreis) durch neue Klangvariationen. 2018 verblüffte das Quartett mit der spektakulären Orchester-Produktion Homeward Bound Suite, 2020 präsentierte es auf Golden Age individuelle Fusionen von akustischer Virtuosität und kluger Elektro-Ästhetik. Das Album stand auf der Longlist des Preises der deutschen Schallplattenkritik und erhielt viel Medien-Resonanz. Das Magazin Concerto hörte „Modern Jazz allerfeinster Güte“, Stereoplay lobte „brillantes Erzählen“ und Jazz Facts im DLF befand:. „..einer der herausragenden Jazzmusiker Deutschlands. Sein strahlendes Trompetenspiel gebietet souverän über die ganze Palette der modernen Tradition – von Freddie Hubbard bis Kenny Wheeler.“
Auf dem neuen Album Stufen vollziehen Köster und seine kreativen Partner wiederum eine Wende und konzentrieren sich ganz auf die akustischen Möglichkeiten ihrer Instrumente. „Ich wollte einen Kontrast zum Vorgängeralbum, zudem standen schon beim Komponieren alle Zeichen auf Natur“, erklärt Frederik Köster den aktuellen Fokus. „Fast alle Stücke habe ich während des ersten Lockdowns geschrieben, als ich oft im Wald war. So ließ sich schon früh absehen, dass eine Art ‘Naturalbum’ entstehen würde, geprägt von den Eindrücken und Gedanken bei ausgedehnten Spaziergängen.“
Die herausragenden spielerischen Möglichkeiten des Solistenensembles kommen so vielleicht noch eindrücklicher zur Geltung. Dank ihrer nuancierten Klangsprache und ihres persönlichen Gestaltungswillens können die Stilisten sogar punktuell an historische Aspekte anknüpfen und gleichzeitig ihre zeitgemäße Haltung bewahren. Zumal Köster beim Komponieren offenkundig nicht an Ikonen des Jazz dachte. Vielmehr habe er sich von Klavierstücken des Impressionismus und der Spätromantik inspirieren lassen, letztere klingen beispielsweise im Titelstück des Albums an. Oder von Steve Reichs Minimalismus, erkennbar im letzten Teil von Until I Find You. Nicht nur in Rhyme Or Reason faszinieren Burgwinkels klangvoll- aufstachelndes Schlagzeug, Oetz’ ruhige und trotzdem kraftvolle Bass-Grundierungen, Sternals moderne, lyrische bis dringliche Klavierphantasien, die Kösters strahlendes, zwischen Eleganz und Expression changierendes Spiel beflügeln.
„Die vergangenen zwei Jahre waren für mich extrem intensiv“, resümiert Frederik Köster und skizziert emotionale Achterbahnfahrten, die neben den Corona-Umständen auch tiefgreifende private Veränderungen wie das Ende einer langjährigen Beziehung umfassen. Trotzdem sind seine neuen Stücke keineswegs düster gestimmt. „Anfangs dachten ja viele von uns, dass die Pandemie schnell wieder vorbei sein wird und empfanden die Ruhe während der Zwangspause für Momente sogar als ungeahnte Möglichkeit“, erinnert sich Köster an das verrückte Frühjahr 2020. „Grundsätzlich bin ich Optimist, also möchte ich eher positive Stimmungen auf CD haben.“ Die Idee, eine Krise als Chance zu betrachten, ist dem 1977 geborenen Musiker aus Köln vertraut, Daher ergreife ihn Hermann Hesses Gedicht Stufen, das „um den Beginn von etwas Neuem kreist, das aber Zeit braucht, um sich zu entwickeln“ immer wieder. Auch andere Titel des Albums sind mehr oder weniger stark von poetischen Worten oder einem literarischen Geist beeinflusst. Etwa Until I Find You durch John Irving und natürlich Further In Summer, bei dem Köster den Text von Emily Dickinson in einen atmosphärischen Song kleidet und mit versierter Ausdruckskraft singt. Hingegen stellt das vehement vorwärts strebende Road Trip mit seinen agil-rasanten Stakkato-Motiven und gewundenen Linien eine Verbindung her zu den arabischen Einflüssen auf Golden Age.
Es gibt noch einen weiteren markanten Unterschied zu früheren Veröffentlichungen des Quartetts. „Ich hatte schon lange geplant, ein Live-Album zu machen, weil man vor Publikum einfach anders spielt als alleine im Studio“, sagt Frederik Köster. Die neue klangliche Ausrichtung legte es nahe, dieses Vorhaben nun umzusetzen. „Ursprünglich hatten wir gedacht, davor einige Aufwärm-Gigs zu spielen, um die Stücke kennenzulernen. Nachdem diese Auftritte alle geplatzt waren, mussten wir entsprechend intensiver proben, um dann an zwei Konzertabende im Loft live mitzuschneiden.“
Aus dem Material wurden jene Stücke ausgesucht, die nun ohne Nachbearbeitung auf Stufen zu erleben sind. Einzig Further In Summer wurde an einem Nachmittag ohne Publikum aufgenommen. „Obwohl wir zuvor lange nicht gemeinsam aufgetreten sind, war das Verständnis bei der ersten Probe auf Schnipp wieder da“, beschreibt Köster das Langzeitgedächtnis des Band-Organismus. Das Arbeitsprinzip, dass er selbst den Rahmen der Stücke komponiere und das Quartett sämtliche Details bezüglich Form und Ausführung beim gemeinsamen Spielen entwickelt, habe sich in der vergangenen Dekade bewährt. „Natürlich sind wir längst extrem vertraut miteinander. Trotzdem sitzen alle auf der vorderen Stuhlkante, versuchen wir uns weiterhin zu überraschen, neue Facetten zu entdecken, was immer noch sehr gut gelingt.“
Die Fotos des Covers visualisieren Frederik Kösters musikalische Reflexionen über innere Gefühlswelten und Ereignisse um einen herum. „Das neue Album ist auf manche Art ein introvertiertes Werk, das vor allem mit mir selbst zu tun hat“, konstatiert er. Private Bezüge gab es in seiner Musik schon früher, man denke nur an die Homeward Bound Suite als akustische Hommage an Kösters alte Heimat. Natürlich klingt Stufen klingt nicht nach vertontem Tagebuch. Die subtile bis spannungsgeladene Musik lebt von Kösters Abstraktionskraft und von der sensiblen Interaktion einer dynamischen Band, die Transparenz und Dichte pointiert einzusetzen weiß. Mit Stufen bestätigen Frederik Köster / Die Verwandlung ihren Status als besonders variable und spielerisch herausragende Working Band des europäischen Jazz.